Ich erlebe es bei meiner bald 4-jährigen Tochter, wie sehr sie Geschichten über ihre Babyjahre liebt. Sie liebt es, Fotos aus dieser Zeit anzuschauen und Geschichten zu hören. Manche Geschichten hat sie schon so oft gehört, dass sie diese selbst wiedergibt und voller Überzeugung sagt, dass sie sich daran erinnert («I remember that!»). Es ist gar nicht möglich, dass sie sich wirklich an die Babyzeit erinnert; sie erinnert sich an unsere Erzählungen und an die Fotos und glaubt, dass es sich um echte eigene Erinnerungen handelt. Auffallend ist dann, dass sie bei der Wiedergabe dieser Erinnerungen unsere Worte wiederholt und die Ereignisse nicht mit ihren eigenen Worten beschreibt.
Aufgrund der «Tagebucheinträge» der Noch-Schwägerin bezweifle ich, dass mein Neffe wirklich von Missbrauchsvorfällen berichtet hat. Die Wortwahl klingt nicht nach der eines 4-Jährigen.
Falsche Erinnerungen beim Kind
Falls er nun doch von Missbrauchsvorfällen berichtet haben soll, so entsteht der Verdacht, dass ihm solche Erinnerungen eingeflösst wurden. Das bedeutet nicht, dass er lügt. Das bedeutet aber auch nicht, dass seine Schilderungen wahr sind.
Die Leserin fragte mich, warum eine Mutter solche Dinge erfinden oder ihrem eigenen Kind so etwas antun sollte. Ich finde diese Frage heikel. Wir bindungstoleranten Eltern können uns das beim besten Willen nicht vorstellen, weil es ein furchtbarer psychischer Missbrauch am Kind ist. Genauso wenig können wir nachvollziehen, wie jemand ein Kind auf andere Weise missbraucht oder misshandelt. Doch nur weil wir das niemals tun würden, heisst es nicht, dass es nicht überall auf der Welt passiert.
Induzierte Eltern-Kind-Entfremdung ist psychische Misshandlung
Was meinem Neffen und auch meinem Bruder angetan wird, ist die bewusste Zerstörung der Vater-Sohn-Beziehung. Es ist psychische Gewalt, wenn einem kleinen Kind eingeredet wird, dass ein Elternteil ihm Schlimmes angetan hat. Es ist ein Missbrauch, wenn dem Kind ein Elternteil entzogen wird, weil man Rache an den Ex-Partner ausübt. Das hat nichts mit Kindeswohl zu tun, sondern mit purem Eigennutz und Vergeltung.
Die Leserin erwähnte zudem eine soziale Isolation für eine Mutter, deren Kind von Missbräuchen erzählt. Auch die beschuldigte Person erlebt eine soziale Isolation, insbesondere wenn die beschuldigende Person im Umfeld des Beschuldigten trotz Unschuldsvermutung von diesen Missbräuchen erzählt. Und dies, obwohl es keine Beweise gibt: Die Mutter berichtet von Hämatomen am ganzen Körper und dokumentiert alles in einem «Tagebuch». Trotzdem gibt es keine Fotos. Die Mutter berichtet von Schilderungen des Kindes, reicht eine einzige Audioaufnahme ein als Beweis, aber keine weiteren. Nebenbei bemerkt: Bei dieser Aufnahme sagt mein Neffe, dass sein Mami und das Grossi ihm gesagt habe, dass er sich den Finger ins Fudi stecken muss; mein Bruder wird gar nicht erwähnt. Die Mutter berichtet bei der Zeugenbefragung, das Kind habe unmittelbar nach einem Besuch beim Vater erzählt, der Vater habe ihm einen 20 Zentimeter langen Gips in den After gesteckt; bei einem anderen Besuch sollen es drei Finger gewesen sein. Solche Handlungen würden zu schweren inneren Verletzungen führen. Als Mutter würde ich sofort zur Notaufnahme, das Kind untersuchen und Beweise sichern lassen. Nichts davon ist passiert.
Eltern-Kind-Beziehung ist das höchste Gut
Stattdessen berichtet sie in Anwesenheit des Kindes der Spielgruppenleiterin, der Beiständin, den Sozialarbeiterinnen bei den begleiteten Besuchstagen, der Kinderärztin, der Kinderpsychologin und dem Bezirksrichter von angeblichen Missbrauchsvorfällen. Mein Neffe hört das alles. Immer und immer wieder, bis er sich nicht mehr sicher ist, was wirklich passiert ist und was er vom Hörensagen zu wissen glaubt.
Die Eltern-Kind-Beziehung ist das höchste Gut und muss in jedem Fall geschützt und respektiert werden. Für Aussenstehende ist oft nicht sofort erkennbar, wer der wirkliche Täter ist. Es braucht einen Perspektivenwechsel. Unsere Gesellschaft ist nicht auf diesen Perspektivenwechsel vorbereitet und wir können es uns einfach nicht vorstellen, dass eine Mutter aus Eigennutz so etwas erfinden könnte. Dennoch ist es wichtig hinzuschauen. Das Thema muss enttabuisiert werden – und das ist das Ziel meiner Website.
Sehr geehrte Frau Wonesky,
ich schreibe Ihnen erneut, weil mich die Inhalte auf Ihrer Website sehr erschüttern und ich das Gefühl habe, dass hier weiterhin eine Grenze überschritten wird.
Es ist für mich schwer zu verstehen, wie Sie es rechtfertigen können, eine Mutter weiterhin öffentlich bloßzustellen, private Fotos zu veröffentlichen und dabei auch ein unschuldiges Kind in den Mittelpunkt zu rücken. Diese Art der Darstellung empfinde ich als äußerst verletzend und entwürdigend.
Will ihr Bruder wirklich, dass sein Sohn öffentlich bloßgestellt wird? Unterstützt er tatsächlich einen solchen Schritt? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein erwachsener Mann so etwas wollen würde.
Mir ist bewusst, dass Sie andere Versionen der Geschehnisse vertreten und Ihren Bruder schützen möchten. Doch gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass Sie dabei die Würde der Betroffenen missachten und damit Leid eher verstärken, als zu lindern.
Als Mutter frage ich Sie ernsthaft: Würden Sie wollen, dass Ihr eigenes Kind auf solch eine Weise öffentlich dargestellt wird? Ich empfinde, dass hier nicht mehr von einem Streben nach Gerechtigkeit die Rede ist, sondern von Macht und Rache – und das finde ich zutiefst bedauerlich.
Ich appelliere an Sie, Ihre Website und deren Inhalte kritisch zu überdenken. Es wäre ein Zeichen von Anstand und Respekt, Menschen nicht weiter öffentlich zu entwürdigen – gerade in so sensiblen Situationen. Ihr Neffe hat es verdient, nicht als Objekt behandelt zu werden.
Ich hoffe sehr, dass Sie zur Besinnung kommen und sich auf einen mitfühlenden und verantwortungsvollen Umgang mit diesem inner familiären Kollateralschaden besinnen. Zum Wohle aller – auch von ihnen!
Mit besten Grüßen,
PS. Wissen Sie, was ich heute für eine Idee hatte? Ich überlege, selbst eine Website zu starten – nicht um Menschen zu beschuldigen oder bloßzustellen, sondern um sichtbar zu machen, wie perfide Täterumkehr funktioniert. Vielleicht mit echten Fällen, echten Stimmen von Betroffenen – und einer Rubrik über Menschen, die sich anmaßen, ohne Fachwissen öffentlich Partei zu ergreifen für mutmaßliche Täter. Ich frage mich nur: Wie würde es Ihnen gefallen, dort erwähnt zu werden – namentlich, mit Zitaten Ihrer eigenen Aussagen? Alles öffentlich verfügbar, versteht sich. Ich denke, das wäre eine interessante Umkehr der Perspektive.